Phase V - Die Veröffentlichung
Repetieren und Adaptieren der eigenen Geschichte
Milagro Alvarez Leliebre wurde 1995 in Havanna, Kuba, geboren und schloss 2018 ihr Geschichtsstudium an der Universität von Havanna ab. Sie ist eine der «Expert*innen des Alltags» – so der Begriff der Theatergruppe für Laien, die aus ihrem Leben erzählen – in dem Theaterstück «Granma. Posaunen aus Havanna» von Rimini Protokoll, das über 5 Jahre lang weltweit getourt hat und im März 2019 Premiere feierte. In diesem Stück erzählen Enkelkinder die Geschichten ihrer Grosseltern, die an der kubanischen Revolution teilgenommen haben. 60 Jahre nach der Revolution begeben sich die Enkelkinder auf Spurensuche, um herauszufinden, was von der Revolution und ihrer Utopie übriggeblieben ist. In dem Stück geht Alvarez Leliebre der Frage nach, warum die Revolution, die ihr ein Studium ermöglicht hat, ihr als Professorin kaum einen Lebensunterhalt bieten kann. Sie lebt in Berlin und promoviert in Geschichte an der Freien Universität Berlin.
Website Rimini Protokoll Projekt «Granma - Posaunen aus Havanna»
Am nervösesten war ich am Anfang, als ich auf der Bühne vor dem Publikum stand. Über uns selbst sprechen, das war eine besondere Herausforderung – ich musste viel Neues ausprobieren. In dem Stück erzähle ich von meiner Grossmutter, der ich sehr nahe stand und die, als wir mit der Arbeit an dem Stück begannen, bereits seit 2009 verstorben war. Jedes Mal, wenn ich das Stück aufführte, erlebte ich den Moment ihres Todes erneut. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, darüber zu sprechen, obwohl es für mich immer noch schwierig war. Das Team war sehr einfühlsam und fragte mich nach jeder Aufführung, wie ich mich beim Erzählen dieser Geschichte gefühlt habe. Auch innerhalb des Stücks gab ein kleines Unterstützungsritual, von dem das Publikum nichts mitbekam. Bevor ich über meine Grossmutter zu sprechen begann, schaute mich Christian immer an, um mir zu sagen: «Du schaffst das, wir stehen hinter dir». Diana sah mich an und begann sofort, mich auf der Posaune zu begleiten. Wenn sie merkte, dass die Gefühle an diesem Tag an der Oberfläche waren, versuchte sie, die Musik weniger traurig und schneller zu machen. Und am Ende des Stücks legte Daniel mir immer eine Hand auf die Schulter. Wir hatten auch andere, intimere Rituale auf der Bühne, um uns gegenseitig zu unterstützen oder die Nerven zu beruhigen. Und: vor jeder Aufführung tanzten wir kubanischen Reggaeton zusammen. Auch die Atemübungen, die wir lernten, waren wichtig, damit ich mitten im Weinen dem Drehbuch folgen konnte und das Publikum mich verstand. Der emotionalste Moment während der Tournee war für mich, meine Mutter während der Aufführung von der Bühne aus zu sehen. Sie durchlebte auch den Moment vom Tod meiner Grossmutter. Ich musste für einen Moment innehalten und gut atmen.
Wir trafen uns fast immer mit Stefan Kaegi (Regie) oder er schickte uns Feedbacks per Mail, die wir dann gemeinsam besprachen. Bei dieser Gelegenheit konnten wir besprechen, wie wir uns während der Aufführung gefühlt hatten, und zum Ausdruck bringen, ob es Dinge gab, über die wir nicht mehr sprechen wollten, so dass wir sie ändern konnten. Ich erinnere mich, dass es einmal nach der ersten Aufführung eine Zeile über meine Grossmutter gab, die ich nicht mehr sagen wollte. Ich habe mit Stefan gesprochen und er war sofort einverstanden und wir haben sie geändert. Das ist sehr wichtig, weil es deine Geschichte ist und du dich wohl fühlen musst, wenn du sie erzählst. Und dafür ist es auch wichtig, die Unterstützung des Regisseurs, der Crew und der Dramaturgie zu haben, um das anzupassen, was nötig war. Wir haben auch Vorschläge zu Dingen bekommen, die vielleicht nicht so gut herausgekommen sind, zum Beispiel die Artikulation. Da wir keine professionellen Schauspieler*innen sind, mussten wir sehr darauf achten, langsam und verständlich zu sprechen. Das hat uns sehr geholfen, jede Aufführung zu verbessern. Oder wenn die Posaunen nicht so gut klangen. Zum Glück wusste das Publikum, dass drei von uns erst seit kurzer Zeit Posaune von Grund auf neu gelernt hatten, sodass das entschuldbar war.
Reflektiere dein Projekt
Wenn sich die Parameter eurer Aufführung ändern, z. B. durch veränderte Lebensumstände der Beteiligten, seid ihr bereit, das Stück anzupassen – und unter welchen Bedingungen?
Werden Familienmitglieder oder andere nahestehende Personen zu Proben oder Aufführungen eingeladen? Was wurde im Vorfeld mit ihnen geklärt, und worauf müssen sie besonders vorbereitet werden? Wie könnte sich diese Situation auf eure Mitwirkenden auswirken?
Konflikte können auf der Bühne interessant sein, aber auf Tournee zu Spannungen führen: Welche Massnahmen wollt ihr ergreifen, um diese zu bewältigen? Wer ist Ansprechpartner*in bei Konflikten, was diskutiert ihr bei Tourneestart im Team?
Kennen die Darsteller*innen die Abläufe in einem Theaterbetrieb? Gibt es jemanden in der Produktion, der sie dabei unterstützt?
Phase V - Die Veröffentlichung
Repetieren und Adaptieren der eigenen Geschichte
Milagro Alvarez Leliebre wurde 1995 in Havanna, Kuba, geboren und schloss 2018 ihr Geschichtsstudium an der Universität von Havanna ab. Sie ist eine der «Expert*innen des Alltags» – so der Begriff der Theatergruppe für Laien, die aus ihrem Leben erzählen – in dem Theaterstück «Granma. Posaunen aus Havanna» von Rimini Protokoll, das über 5 Jahre lang weltweit getourt hat und im März 2019 Premiere feierte. In diesem Stück erzählen Enkelkinder die Geschichten ihrer Grosseltern, die an der kubanischen Revolution teilgenommen haben. 60 Jahre nach der Revolution begeben sich die Enkelkinder auf Spurensuche, um herauszufinden, was von der Revolution und ihrer Utopie übriggeblieben ist. In dem Stück geht Alvarez Leliebre der Frage nach, warum die Revolution, die ihr ein Studium ermöglicht hat, ihr als Professorin kaum einen Lebensunterhalt bieten kann. Sie lebt in Berlin und promoviert in Geschichte an der Freien Universität Berlin.
Website Rimini Protokoll Projekt «Granma - Posaunen aus Havanna»
Am nervösesten war ich am Anfang, als ich auf der Bühne vor dem Publikum stand. Über uns selbst sprechen, das war eine besondere Herausforderung – ich musste viel Neues ausprobieren. In dem Stück erzähle ich von meiner Grossmutter, der ich sehr nahe stand und die, als wir mit der Arbeit an dem Stück begannen, bereits seit 2009 verstorben war. Jedes Mal, wenn ich das Stück aufführte, erlebte ich den Moment ihres Todes erneut. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, darüber zu sprechen, obwohl es für mich immer noch schwierig war. Das Team war sehr einfühlsam und fragte mich nach jeder Aufführung, wie ich mich beim Erzählen dieser Geschichte gefühlt habe. Auch innerhalb des Stücks gab ein kleines Unterstützungsritual, von dem das Publikum nichts mitbekam. Bevor ich über meine Grossmutter zu sprechen begann, schaute mich Christian immer an, um mir zu sagen: «Du schaffst das, wir stehen hinter dir». Diana sah mich an und begann sofort, mich auf der Posaune zu begleiten. Wenn sie merkte, dass die Gefühle an diesem Tag an der Oberfläche waren, versuchte sie, die Musik weniger traurig und schneller zu machen. Und am Ende des Stücks legte Daniel mir immer eine Hand auf die Schulter. Wir hatten auch andere, intimere Rituale auf der Bühne, um uns gegenseitig zu unterstützen oder die Nerven zu beruhigen. Und: vor jeder Aufführung tanzten wir kubanischen Reggaeton zusammen. Auch die Atemübungen, die wir lernten, waren wichtig, damit ich mitten im Weinen dem Drehbuch folgen konnte und das Publikum mich verstand. Der emotionalste Moment während der Tournee war für mich, meine Mutter während der Aufführung von der Bühne aus zu sehen. Sie durchlebte auch den Moment vom Tod meiner Grossmutter. Ich musste für einen Moment innehalten und gut atmen.
Wir trafen uns fast immer mit Stefan Kaegi (Regie) oder er schickte uns Feedbacks per Mail, die wir dann gemeinsam besprachen. Bei dieser Gelegenheit konnten wir besprechen, wie wir uns während der Aufführung gefühlt hatten, und zum Ausdruck bringen, ob es Dinge gab, über die wir nicht mehr sprechen wollten, so dass wir sie ändern konnten. Ich erinnere mich, dass es einmal nach der ersten Aufführung eine Zeile über meine Grossmutter gab, die ich nicht mehr sagen wollte. Ich habe mit Stefan gesprochen und er war sofort einverstanden und wir haben sie geändert. Das ist sehr wichtig, weil es deine Geschichte ist und du dich wohl fühlen musst, wenn du sie erzählst. Und dafür ist es auch wichtig, die Unterstützung des Regisseurs, der Crew und der Dramaturgie zu haben, um das anzupassen, was nötig war. Wir haben auch Vorschläge zu Dingen bekommen, die vielleicht nicht so gut herausgekommen sind, zum Beispiel die Artikulation. Da wir keine professionellen Schauspieler*innen sind, mussten wir sehr darauf achten, langsam und verständlich zu sprechen. Das hat uns sehr geholfen, jede Aufführung zu verbessern. Oder wenn die Posaunen nicht so gut klangen. Zum Glück wusste das Publikum, dass drei von uns erst seit kurzer Zeit Posaune von Grund auf neu gelernt hatten, sodass das entschuldbar war.
Reflektiere dein Projekt
Wenn sich die Parameter eurer Aufführung ändern, z. B. durch veränderte Lebensumstände der Beteiligten, seid ihr bereit, das Stück anzupassen – und unter welchen Bedingungen?
Werden Familienmitglieder oder andere nahestehende Personen zu Proben oder Aufführungen eingeladen? Was wurde im Vorfeld mit ihnen geklärt, und worauf müssen sie besonders vorbereitet werden? Wie könnte sich diese Situation auf eure Mitwirkenden auswirken?
Konflikte können auf der Bühne interessant sein, aber auf Tournee zu Spannungen führen: Welche Massnahmen wollt ihr ergreifen, um diese zu bewältigen? Wer ist Ansprechpartner*in bei Konflikten, was diskutiert ihr bei Tourneestart im Team
Kennen die Darsteller*innen die Abläufe in einem Theaterbetrieb? Gibt es jemanden in der Produktion, der sie dabei unterstützt?