Phase V - Die Veröffentlichung
Rückblick auf die Vorstellungen
Milagro Alvarez Leliebre wurde 1995 in Havanna, Kuba, geboren und schloss 2018 ihr Geschichtsstudium an der Universität von Havanna ab. Sie ist eine der «Expert*innen des Alltags» – so der Begriff der Theatergruppe für Laien, die aus ihrem Leben erzählen – in dem Theaterstück «Granma. Posaunen aus Havanna» von Rimini Protokoll, das über 5 Jahre lang weltweit getourt hat und im März 2019 Premiere feierte. In diesem Stück erzählen Enkelkinder die Geschichten ihrer Grosseltern, die an der kubanischen Revolution teilgenommen haben. 60 Jahre nach der Revolution begeben sich die Enkelkinder auf Spurensuche, um herauszufinden, was von der Revolution und ihrer Utopie übriggeblieben ist. In dem Stück geht Alvarez Leliebre der Frage nach, warum die Revolution, die ihr ein Studium ermöglicht hat, ihr als Professorin kaum einen Lebensunterhalt bieten kann. Sie lebt in Berlin und promoviert in Geschichte an der Freien Universität Berlin.
Website Rimini Protokoll Projekt «Granma - Posaunen aus Havanna»
Ich würde diese Arbeit wieder machen, aber es wäre eine andere Arbeit. Unser Denken und unsere Perspektiven haben sich im Laufe der Zeit verändert. Wir haben das Stück fünf Jahre lang aufgeführt, von denen ich die letzten vier Jahre in Deutschland gelebt habe, was mir neue Perspektiven auf die deutsche und europäische Gesellschaft eröffnet hat. Diese Zeit hat uns viel gelehrt: Unsere Bühnenpartner, beides weisse Männer, verstanden nicht, wie Rassismus funktioniert, oder leugneten, dass wir zwei weiblichen Darstellerinnen – beides schwarze Frauen – ihn wirklich erlebten. Sie hatten kaum ein Verständnis für das Thema. Im Laufe der Tournee wurde der Rassismus, den wir in Europa und seinen Flughäfen erlebten, nicht weniger, aber unsere Partner verstanden und erlebten durch uns, wie Rassismus funktionierte, und sahen ihn mit eigenen Augen.
Heute würde ich etwa die Erzählung auf der Bühne über mein Haus anders gestalten, damit bin ich nicht mehr einverstanden. Im Stück spreche ich vom Haus, in dem ich wohnte, und dem grossen Zimmer, das ich dort hatte. Aber als ich merkte, wie das mehrheitlich europäische Publikum reagierte – meistens wurde gelacht – , begann ich diese Szene zu hinterfragen. Was mir anfangs natürlich und normal erschien, war plötzlich zu intim, und ich fühlte mich unwohl, es so offen zu zeigen.
Es ist wichtig, eine klare Grenze zu ziehen, um Menschen nicht blosszustellen, wenn sie ihre persönliche Geschichte erzählen. Gleichzeitig ist es wichtig, manchmal diese Grenze zu überschreiten, um über etwas Grösseres als das Private zu sprechen. Beim Erzählen von Lebensgeschichten, vor allem von Menschen aus dem Globalen Süden, sollte man jedoch nie versuchen, die Bedürfnisse der «exotisierten» westlichen oder romantisierten Sicht auf uns zu befriedigen. Es ist eine ethische Grenze, die nicht überschritten werden sollte, eine feine Linie, die für jeden auf der Bühne anders sein kann. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass das Publikum mit vorgefassten Meinungen kam, die dann während des Stücks in Frage gestellt wurden – das ist für mich eine wichtige Funktion des Theaters.
Reflektiere dein Projekt
Wie geht ihr damit um, wenn Beteiligte im Verlauf der Tournee (gravierende) inhaltliche Änderungen vornehmen wollen? Welche Credi könnt ihr schon früher im Prozess antizipierend (gemeinsam) festlegen?
Wie habt ihr vor, mit emotional herausfordernden Reaktionen des Publikums umzugehen?
Welche Formate wie z. B. Publikumsgespräche werden genutzt, um solche Themen aufzugreifen, und wie wird dabei die Privatsphäre der Beteiligten geschützt?
Phase V - Die Veröffentlichung
Rückblick auf die Vorstellungen
Milagro Alvarez Leliebre wurde 1995 in Havanna, Kuba, geboren und schloss 2018 ihr Geschichtsstudium an der Universität von Havanna ab. Sie ist eine der «Expert*innen des Alltags» – so der Begriff der Theatergruppe für Laien, die aus ihrem Leben erzählen – in dem Theaterstück «Granma. Posaunen aus Havanna» von Rimini Protokoll, das über 5 Jahre lang weltweit getourt hat und im März 2019 Premiere feierte. In diesem Stück erzählen Enkelkinder die Geschichten ihrer Grosseltern, die an der kubanischen Revolution teilgenommen haben. 60 Jahre nach der Revolution begeben sich die Enkelkinder auf Spurensuche, um herauszufinden, was von der Revolution und ihrer Utopie übriggeblieben ist. In dem Stück geht Alvarez Leliebre der Frage nach, warum die Revolution, die ihr ein Studium ermöglicht hat, ihr als Professorin kaum einen Lebensunterhalt bieten kann. Sie lebt in Berlin und promoviert in Geschichte an der Freien Universität Berlin.
Website Rimini Protokoll Projekt «Granma - Posaunen aus Havanna»
Ich würde diese Arbeit wieder machen, aber es wäre eine andere Arbeit. Unser Denken und unsere Perspektiven haben sich im Laufe der Zeit verändert. Wir haben das Stück fünf Jahre lang aufgeführt, von denen ich die letzten vier Jahre in Deutschland gelebt habe, was mir neue Perspektiven auf die deutsche und europäische Gesellschaft eröffnet hat. Diese Zeit hat uns viel gelehrt: Unsere Bühnenpartner, beides weisse Männer, verstanden nicht, wie Rassismus funktioniert, oder leugneten, dass wir zwei weiblichen Darstellerinnen – beides schwarze Frauen – ihn wirklich erlebten. Sie hatten kaum ein Verständnis für das Thema. Im Laufe der Tournee wurde der Rassismus, den wir in Europa und seinen Flughäfen erlebten, nicht weniger, aber unsere Partner verstanden und erlebten durch uns, wie Rassismus funktionierte, und sahen ihn mit eigenen Augen.
Heute würde ich etwa die Erzählung auf der Bühne über mein Haus anders gestalten, damit bin ich nicht mehr einverstanden. Im Stück spreche ich vom Haus, in dem ich wohnte, und dem grossen Zimmer, das ich dort hatte. Aber als ich merkte, wie das mehrheitlich europäische Publikum reagierte – meistens wurde gelacht – , begann ich diese Szene zu hinterfragen. Was mir anfangs natürlich und normal erschien, war plötzlich zu intim, und ich fühlte mich unwohl, es so offen zu zeigen.
Es ist wichtig, eine klare Grenze zu ziehen, um Menschen nicht blosszustellen, wenn sie ihre persönliche Geschichte erzählen. Gleichzeitig ist es wichtig, manchmal diese Grenze zu überschreiten, um über etwas Grösseres als das Private zu sprechen. Beim Erzählen von Lebensgeschichten, vor allem von Menschen aus dem Globalen Süden, sollte man jedoch nie versuchen, die Bedürfnisse der «exotisierten» westlichen oder romantisierten Sicht auf uns zu befriedigen. Es ist eine ethische Grenze, die nicht überschritten werden sollte, eine feine Linie, die für jeden auf der Bühne anders sein kann. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass das Publikum mit vorgefassten Meinungen kam, die dann während des Stücks in Frage gestellt wurden – das ist für mich eine wichtige Funktion des Theaters.
Reflektiere dein Projekt
Wie geht ihr damit um, wenn Beteiligte im Verlauf der Tournee (gravierende) inhaltliche Änderungen vornehmen wollen? Welche Credi könnt ihr schon früher im Prozess antizipierend (gemeinsam) festlegen?
Wie habt ihr vor, mit emotional herausfordernden Reaktionen des Publikums umzugehen?
Welche Formate wie z. B. Publikumsgespräche werden genutzt, um solche Themen aufzugreifen, und wie wird dabei die Privatsphäre der Beteiligten geschützt?